26.04.2018

Die "Bleivergiftung" von Flint

In der Stadt Flint im US-Bundesstaat Michigan tranken und nutzen die 100,000 Einwohner nachdem die Wasserversorgung im April 2014 umgestellt wurden war anderthalb Jahre lang unwissend durch Blei verunreinigtes Wasser. Als eine Ärztin ein Jahr nach der Umstellung der Wasserversorgung erhöhte Bleiwerte im Blut einiger Kinder feststelle und daraufhin Wissenschaftler Bleiwerte über dem erlaubten Grenzwert in Wasserproben aus Haushalten feststellen, reagierten die Behörden sehr träge. Später kommt unter anderem heraus, dass die Verantwortlichen der Stadt Flint sich nicht an die staatlichen Umweltauflagen hielten und auf Anti-Rost-Chemikalien verzichteten. Da hohe Bleiwerte neurologische Schäden anrichten, ist in den amerikanischen, aber auch deutschen Medien schnell die Rede davon, dass die Einwohner von Flint vergiftet wurden (siehe zwei Beispiele aus der deutschen Medienlandschaft: Süddeutsche Zeitung, ARD Weltspiegel). 

Eine jetzt veröffentlichte wissenschaftliche und peer-reviewte Studie zeigt jedoch, dass man nicht unbedingt von "Vergiftung" reden kann. In der öffentlich zugänglichen Studie (Pressemitteilung) mehrerer Ärzte, Toxikologen und Forschern aus Michigan und New Jersey wurde der Bleigehalt in mehr als 15,000 Blutproben von Kindern aus Flint zwischen 2006 und 2016 untersucht. Das Ergebnis: Seit 2006 hat sich der Bleigehalt im Blut der Kinder halbiert (siehe Graph). Während der Wasserkrise 2015 stieg dieser Wert minimal an, sank im Folgejahr aber wieder. Der Anstieg im Jahr 2015 war aber im Vergleich zu 2013 statistisch nicht signifikant und auch nicht größer als der zufällige Anstieg von 2010 auf 2011. Das heißt der Anstieg kann durch zufällige Schwankungen erklärt werden. Der durchschnittliche 2015 gemessene Bleigehalt im Blut war ähnlich dem gemessen Wert aus dem Jahr 2012. Die Autoren schreiben:
The random variability of the data suggests that, whereas no child should have been unnecessarily exposed to drinking water with elevated lead concentrations, changes in GM BLLs [geometric mean blood lead levels] in young children in Flint, Michigan, during the Flint River water exposure did not meet the level of an environmental emergency.

Die Autoren schreiben ferner in der Diskussion ihres Artikels, dass Kinder aus anderen Gebieten in Michigan wie beispielsweise Detroit ein weit höheren Bleigehalt im Blut haben als jene in Flint während der Wasserkrise 2014/2015. Dass der kurzzeitige minimale Anstieg des Bleigehaltes im Blut zu neurologischen Schäden führen wird, darf bezweifelt werden.

Aus der Studie soll jedoch nicht gefolgert werden, dass was in Flint geschah harmlos war, ganz im Gegenteil, die Bevölkerung wurde einem unnötigen Risiko ausgesetzt und das ist unakzeptabel. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Der mediale Aufschrei von einer Bleivergiftung ist aber im historischen Kontext übertrieben. Die Einwohner von Flint und insbesondere die Kinder in Flint sollte nicht weiter stigmatisiert werden.

In den deutschen Medien war zur der Studie zum aktuellen Zeitpunkt (26. April 2018) noch nichts zu lesen.


Hier noch ein YouTube Interview mit einem Autor der Studie, Dr. Hernán F. Gómez. Im Interview wird nicht nur seine Studie diskutiert, sondern auch die Kommunikation zwischen der Wissenschaft und den Medien. 

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