10.06.2008

Deutschlandfahne verbieten?!

Nun ist es wieder soweit. Die UEFA Europameisterschaft hat begonnen und die deutsche Nationalelf gewann das Auftaktspiel gegen Polen 2:0 in Klagenfurt. Bereits zuvor wurden diverse Autos mit (aber nicht nur) Deutschlandfahnen beflaggt. Bei Fußballveranstaltungen überall hüllte man sich in ein "schwarz-rot-gelbes Meer". Sind wir nun wieder im 3. Reich gelandet, droht ein neuer, alter National(sozial)ismus oder alles nur Panikmache?
"Ein Jude, welcher direkt aus dem dem KZ nun nach Deutschland in ein Fußballstadion, in welchem es "Deutschland, Deutschland"-Rufe hallt, teleportiert wird, würde sich denken: "Da hat sich ja nichts verändert, nur... wer ist die dicke Frau auf Hitlers Platz?""
so oder so ähnlich hat es Serdar Somuncu zur WM '06 mal formuliert.

Wenn man das hier und sowas liest, von autochthonen Deutschlandfans, welche mit nationalsozialistischen Slogans während der EM um sich werfen, sollte man sich durchaus besorgt zeigen. Es wurden Sprüche skandiert wie "Alle Polen müssen einen gelben Stern tragen!" oder "Deutsche wehrt euch. Kauft nicht bei Polen!". Es gab infolgedessen 150 Festnahmen. Ausnahme? Nach dem Bericht bei Wind in the Wires leider nicht. Auch ein Freund berichtete mir von Hitlergrüßen während dem Erschallen der deutschen Nationalhymne.

Sind nun alle schwarz-rot-goldene Menschen automatisch Nationalsozialisten? Ist man ein Nazi, wenn man an seinem Fahrzeug eine Deutschlandfahne angebracht hat oder gar schon, wenn man sich nur das Deutschlandspiel anschaut (waren immerhin über 28 Millionen) und der Nationalelf die Daumen drückt?
Ganz und gar nicht! Wo wird die Grenze zum antisemitischen Nationalsozialismus überschritten, wo fängt "übertriebene Deutschlandbegeisterung" an und wo liegt die einfache Liebe zum Fußball? Ist es derart verwerflich "'Schlaaaand!" zu rufen? Gibt es denn überhaupt eine Grenze oder ist Fußball für Deutsche nur das pazifistische Substitut zum verpönten und den Amerikanern verbehaltenen Bellizismus?

Ich sage es mal vorweg. Ich drücke ebenfalls der deutschen Nationalmannschaft die Daumen, wer es nicht tut, der hat dazu sein gutes Recht. Ich habe aber keine Deutschlandfahnen oder ähnliches schwarz-rot-goldenes rumhängen. Doch die schwarz-rot-goldene Deutschlandfahne symbolisiert keinesfalls ein Sympathie zum 3. Reich, da gab es damals eine andere Fahne. Kritik ist natürlich angebracht, vor allem bezüglich der immer wieder stattfindenden Ausartungen im Fußball - nicht nur wenn die Nationalelf spielt, sondern z.B. auch bei Regionalligaspielen, vor allem in Ostdeutschland. Dort darf man nicht die Augen verschließen und das Problem tot schweigen. Es gibt es nunmal und für einige bietet der Fußball die perfekte Plattform zum Promoten von eigenen politischenÜberzeugungen an, denn genau hier trifft man auf große Menschenmassen, wo der Einzelne scheinbar weniger zählt als die Gemeinschaft. Aber jetzt eine Verbindung zwischen der Beflaggung von Autos mit Deutschlandfahnen und dem Nationalsozialismus herzustellen ist ein wenig verblendet, denn für die meisten ist die Fahne nicht mehr als ein Symbol, dass die Unterstützung der Fußballmannschaft aufzeigen soll - sie ist definitiv kein Symbol für das 3. Reich oder für den Faschismus und Antisemitismus - auch sollte man sie nicht als ein repräsentatives Symbol für die Meinung der deutsche Bevölkerung sehen. Denn - wie bei Lizas Welt erwähnt - muss man sich für so einige Statistiken schämen, wenn "mehr als die Hälfte [der Deutschen] finde[n], Israel verfahre mit den Palästinensern so wie seinerzeit die Nazis mit den Juden, zwei Drittel [...] im jüdischen Staat „die größte Gefahr für den Weltfrieden“ [sehen], ebenso viele [...] der Meinung [sind], Israel führe „einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“, und sogar 82 Prozent [...] das Land im Falle eines Angriffs nicht mit Waffen unterstützen [wollen]."

Des Weiteren steht die Deutschlandfahne für Demokratie und Freiheit. Auch gerade zur Unterstützung der deutschen Truppen in Kosovo oder in Afghanistan ist eine nicht so aversive Einstellung gegenüber der Beflaggung angebracht - auch wenn sie für die meisten nicht mehr als ein Symbol zur Unterstützung der deutschen Mannschaft ist. Noch und das wird auch so bleiben, tritt das Phänomen des "schwarz-rot-goldenen" Fahnenmeers nur bei Fußballveranstaltungen und anderen Sportereignissen auf. Die Fahnen werden von den Häusern so schnell verschwinden, wie sie angebracht wurden sind.

Gefährlich wird das Ganze erst dann, wenn es nicht mehr um den Fußball und die deutsche Nationalmannschaft geht, sondern darum den Gegner zu demütigen. Das mag überall so sein, nicht nur in Deutschland, aber hier scheinen einige Menschen in diesem Fall versteckte antisemitische Stereotype und starke nationale Gesinnungen hervorzubringen. Gerade bei solcher Hetze wie "Alle Polen müssen einen gelben Stern tragen!" wird die Grenze bei Weitem überschritten. Der Einzelne verliert in der Gruppe seine Hemmungen und eröffnet offen und selbstbewusst seine Ansichten und die Gruppe - dies ist eben das Fatale - schreitet nicht ein, sondern akzeptiert diese. Durch eine Großveranstaltung wie dem Fußball passiert dieses eben noch leichter. Hemmungen fallen in der Gruppe und die gemeinsame Nationalmannschaft verbindet (Bitte keinesfalls als Rechtfertigung verstehen!).
Das Problem liegt gerade darin, dass Nationalisten und Antisemiten mitten unter den "Deutschlandfans" sind ohne sich merklich von ihnen zu unterscheiden und mit ihnen jubeln.
Für diese "Höllenkreaturen Hitlers" (nach Wind in the Wires) dient der Fußball als Substitut zum Krieg. Hier kann man noch den Gegner noch besiegen - wie in alten Zeiten und Siege mit zicktausend anderen Menschen feiern. Es gibt diesen das Gefühl wieder etwas zu sein, der Teil eines großen Ganzen. Dabei verstärken alte Feindbilder das Gefühl des Siegens noch mehr. Da besiegt man doch tatsächlich mal England oder Russland. Der Fußball gibt ihnen wieder das Gefühl von einem mächtigen Deutschland, einem Deutschland, das alles und jeden besiegen kann, ganz nach dem Motto: Ein Volk, Eine Nationalmannschaft. Und genau dabei vergessen sie, dass es nur Fußball ist, nur ein Sport, ein lächerliches Spiel mit 11 Mann, die einem Ball hinterher rennen. Aber dies liegt nicht am Sport und nicht an den Fahnen, sondern einzig und allein am Denken der Menschen.

In diesem Sinne, locker bleiben , Fußball genießen, aber bei Ausartungen einschreiten und nicht ignorieren, damit solche Vorfälle die Ausnahme bleiben. Leider muss man jedoch gewiss anmerken, dass, egal ob mit Europa- / Weltmeisterschaft oder ohne, viele Deutsche weiterhin antisemitisch und nationalistisch denken. Doch dies hat nichts mit Fußball zu tun, der Fußball verursacht ihn nicht, auch nicht das Fahneschwenken. Manche nutzen ihn eben zur Vertretung ihrer Stammtischparolen, welche eben da sind - mit oder ohne Fußball, mit oder ohne EM.

Lizas Welt: Fahnenappell
Filterblog: Weil die allgemeine Beflaggung wieder los geht

Bild von: Wikicommons

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nichteinmal Fußball kann man mehr in Ruhe genießen...

Anonym hat gesagt…

Wenn man sich etwas mit der deutschen Historie auskennt, dürfte man auch wissen, dass anno 1832 die schwarz- rot- goldenen Farben beim Hambacher Fest eine Solidaritätsbekundigung mit den damaligen polnischen Unterdrückten war.

Anonym hat gesagt…

hi alex

Anonym hat gesagt…

Super Post. Das ganze gut auf den Punkt gebracht jenseits von "Wir sind wieder wer!" und "Schwarz Rot Gold = Nazis".

Anonym hat gesagt…

Da hast du den Sachverhalt aber nun gar nicht getroffen. Nationalismus (und dazu gehört auch vermeintlich “harmloser” Party-Patriotismus) ist ja nicht erst dann ein Problem, wenn er von Nazis betrieben wird. Auch sonst verdeckt er reale Klassenwidersprüche, führt zu einer Identifikation mit dem Nationalstaat und schafft ein Innen und Außen.

Aus antinationaler Perspektive wäre es selbstverständlich auch sinnlos, ein “Verbot” (vgl. Beitrags-Titel) einzufordern. Das würde schießlich wiederum ein Appell an den Staat implizieren, selbiges zu erlassen und durchzusetzen. Und der ist als zentrale Institution zur gewaltförmigen Durchsetzung der bestehenden Verhältnisse nun mal kein vernünftiger Adressat.