13.09.2014

Tierversuche am Max Planck Institut in Tübingen und die Berichterstattung bei Stern TV

Einen aktuellen Nachtrag gibt es hier.
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Stern TV zeigte am 10. September exklusive Aufnahmen aus dem Max Planck Institut (MPI) für Biologische Kybernetik in Tübingen (Aufzeichnung bei RTL Now eine Woche lang verfügbar nach der Ausstrahlung oder hier bei Facebook, jedoch ohne die anschließende Diskussion). Am MPI für biologische Kybernetik betreibt die Abteilung Physiologie kognitiver Prozesse um den Neurowissenschaftler Prof. Nikos Logothetis unter anderen Grundlagenforschung an Makakenaffen und deren Gehirnen.

Im August 2013 hatte sich ein Tierschützer verdeckt als Tierpfleger beworben und wurde kurz darauf eingestellt. Ein halbes Jahr lang filmte der anonym-bleibende Tierpfleger die etwa 40 Affen am MPI heimlich mit einer Kamera und dokumentiert deren Alltag. Organisiert wurde die "Operation Alekto" vom SOKO Tierschutz und der britischen Union zur Abschaffung von Tierversuchen. Die Bilder sind ohne Zweifel verstörend und setzen darauf den Zuschauer zu emotionalisieren (YouTube Video von SOKO Tierschutz am Ende des Artikels). Das Ganze sieht auf den ersten Blick wahrlich nicht gut für die Affenforschung am MPI aus. Die aufwühlenden Szenen sind folgende:

  1. Ein durstiger Affe sucht nach Wasser, indem er die Gitterstäbe seines Geheges ableckt.
  2. Ein Affe ist halbseitig gelähmt und erbricht sich, vermutlich aufgrund einer Entzündung an seinem Implantat.
  3. Ein Affe wird mit Gewalt am Hals aus seinem Käfig gezerrt, da er sich nicht freiwillig in den sogenannten "Primatenstuhl" begibt.
  4. Ein Affe wird betäubt und dann in den Primatenstuhl gesetzt. Er erwacht verstört im Primatenstuhl und dreht sich wild im Kreis.
  5. Ein Affe läuft wild in seinem Käfig auf und ab. Ein anderer Affe läuft in seinem Gehege auf und ab und zeigt stereotypisches Verhalten einer Traumatisierung.
  6. Ein Affe kratzt und reißt an seinem Kopfimplantat. Sein Kopf ist blutüberströmt. Die Operationsnähte sind 10 Tage nach der Operation noch offen. Auch nach 19 Tage sei die Wunde immer noch nicht verheilt.
  7. Diverse Affen mit vermeintlich infizierten Kopfwunden.
  8. Dokumente, die zeigen, dass die Affen manchmal mehr als zwei Tage kein Wasser bekamen.
  9. Ein blauer Müllsack, in dem sich ein toter Affe befindet.

Das MPI hat ein Tag nach der Ausstrahlung im TV reagiert und eine Stellungnahme auf seiner Webseite veröffentlicht. Das Institut geht davon aus, dass die Bilder aus dem Kontext gezogen seien. Die Sendung werde noch ausgewertet und es kam zu Schmähungen und Morddrohungen gegen Mitarbeiter des MPI.
Die zuständige Genehmigungsbehörde hatte bei einer Kontrolle am Donnerstag, dem 11. September, keine Mängel bei den Tierversuchen oder in der Affenhaltung feststellen können. Alle Vorschriften würden eingehalten. Dennoch wurde eine Prüfung vergangenere Vorgänge angeordnet, obwohl auch diese unter behördlicher Aufsicht geschehen sind.
Meiner Ansicht nach handelt es sich bei den veröffentlichten Szenen mit hoher Wahrscheinlichkeit nach um Einzelfälle und nicht um die Regel. Nichtsdestotrotz darf es auch solche Einzelfälle nicht geben, nicht bei der äußerst kontroversen Forschung an Primaten und einer sehr sensiblen Öffentlichkeit.


Nun zu den einzelnen Szenen und deren (vermeintlichen) Hintergrund:
1. Ein durstiger Affe sucht nach Wasser, indem er die Gitterstäbe seines Geheges ableckt. 
Das MPI gab an, dass solches Verhalten auch bei Zootieren und Affen in freier Wildbahn zu beobachten sei. Dort müssen die Affen auch öfters über längere Zeiträume ohne Wasser auskommen (siehe auch Punkt 8). 

2. Ein Affe ist halbseitig gelähmt und erbricht sich, vermutlich aufgrund einer Entzündung an seinem Implantat oder/und eines Schlaganfalls. 
Die Bilder sind verstörend und verfehlen nicht ihre Wirkung starke Emotionen beim Zuschauer auszulösen. Es ist jedoch unklar wodurch die Lähmung hervorgerufen wurde und ob ein Tierarzt informiert wurde. Bei Operationen, auch am Menschen, kann es immer wieder zu Komplikation und Folgeschäden kommen. Obwohl es sich hierbei um einen Einzelfall handelt, darf so etwas trotzdem nicht vorkommen. Es ist durchaus möglich, dass hier nicht sauber gearbeitet wurde.
Dass danach ein Finalversuch stattgefunden hat, heißt nicht, dass der Affe an einem Experiment im Affenstuhl teilgenommen hat und vier Stunden in einer dunklen, schallisolierten Kammer saß (die resultierenden Daten wären wert- und nutzlos). Vermutlich bezeichnet der Finalversuch eher, dass der Affe anästhesiert wurde und währenddessen beispielsweise die Aktivität einzelner Nervenzellen in seinem Gehirn untersucht wurden, bevor der Affe eingeschläfert wurde.

3. Ein Affe wird mit Gewalt am Hals aus seinem Käfig gezerrt, da er sich nicht freiwillig in den sogenannten Primatenstuhl begibt.
4. Ein Affe wird betäubt und dann in den Primatenstuhl gesetzt. Er erwacht verstört im Primatenstuhl und dreht sich wild im Kreis.
Laut Vorschrift muss sich der Affe freiwillig in den Primatenstuhl begeben. Ich kenne mich nicht mit den Details der Vorschriften und der Gesetzgebung aus und weiß nicht ob untrainierte Affen in den Stuhl gezwungen werden dürfen. Angeblich gilt das mit dem "freiwillig" nur im Vorfeld von Experimenten, d.h. wenn der Affe zu einem Experiment muss, dann muss er freiwillig in den Primatenstuhl klettern. Befindet er sich aber im Training, um sich an den Primatenstuhl zu gewöhnen, gilt die freiwillig-Regel nicht. Hierbei befindet sich der Affe aber nur kurzzeitig im Primatenstuhl und wird nach einiger Zeit wieder befreit. Es findet kein Experiment statt.
Dass in einer anderen Szene der Affe seinen Kopf nicht komplett durch die Luke steckt, kann auch damit zusammenhängen, dass er sich a) noch im Training befindet und b) einfach neugierig, aber eben auch vorsichtig ist. Dies verdeutlicht, dass die Bilder vermutlich aus dem Kontext gerissen sind.
Der Affe wird im Übrigen mittels einer Stange und einem Ring am Hals fixiert um ihn auf Distanz zu halten und zu vermeiden, dass er den Pfleger beißt.

5. Ein Affe läuft wild in seinem Käfig auf und ab. Ein anderer Affe läuft in seinem Gehege auf und ab und zeigt stereotypisches Verhalten einer Traumatisierung. 
Dass ein Affe stereotypisches Verhalten in einem kleinen Käfig zeigt ist durchaus verständlich und wird vom MPI nicht verleugnet. Die Affen befinden sich nur kurze Zeiträume in den kleinen Käfigen, beispielsweise kurz nach und vor einer medizinischen Untersuchung. Dass ein Affe aber stereotypisches Verhalten im größeren Gemeinschaftsgehege zeigt, sollte nicht vorkommen.  Trotzdem stellt sich auch hier die Frage nach dem Kontext. 

6. Ein Affe kratzt und reißt an seinem Kopfimplantat. Sein Kopf ist blutüberströmt. Die Operationsnähte sind 10 Tage nach der Operation noch offen. Auch nach 19 Tage sei die Wunde immer noch nicht verheilt.
 7. Diverse Affen mit vermeintlich infizierten Kopfwunden. 
Diese Bilder, besonders jene vom blutüberströmten Affen, sind äußerst verstörend. Es lässt sich sicherlich nicht verhindert, dass der Affe nach der Operation an seinem Kopfimplantat kratzt und dabei Nähte öffnet. Das haben Tiere und auch Menschen so an sich. Aber dass die Wunden nach mehr als zwei Wochen noch offen sind und sich infizieren darf nicht passieren. Hier muss sofort ein Tierpfleger oder der Tierarzt einschreiten, um eine Infektionen zu verhindern.  

8. Dokumente, die zeigen, dass die Affen manchmal mehr als zwei Tage kein Wasser bekamen. 
Wie in der Diskussionsrunde im Anschluss von Ivar Aune von der Gesellschaft für Versuchstierkunde angemerkt, geht aus den Dokumenten nicht hervor, ob der Affe während der vier Tage Wasserentzug an einem Experiment teilgenommen hat. Es ist durchaus vorstellbar, dass der Affe innerhalb der vier Tage an einem Versuch teilgenommen hatte und dabei sein Tagespensum an Wasser oder Fruchtsaft in Form von Belohnung erhalten hat. Ferner erhält der Affe täglich Obst und andere Nahrung. 

9. Ein blauer Müllsack, in dem sich ein toter Affe befindet. 
Laut der Stellungnahme des MPI werden alle toten Tiere pathologisch untersucht und dann fachmännisch entsorgt.

Ferner suggeriert die Reportage bei den meisten Tierversuchen handelt es sich um Versuche mit Primaten. Das ist definitiv nicht der Fall. Von den etwas mehr als 3 Millionen Versuchstieren in Deutschland handelt es sich bei 1686 (0,06%) um Affen. 2,6 Millionen sind entweder Ratten oder Mäuse. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stammen 50% aller Altweltaffen, zu denen Makaken gehören, die für Tierversuche gehalten werden, aus nicht EU-Staaten. Die Tiere müssen extra für den Forschungszweck gezüchtet werden und dürfen nicht in freier Wildbahn gefangen werden. 
Des Weiteren ensteht aus der Reportage der Eindruck, die Affen seien in kleinen Käfig eingesperrt. Dort befinden sie sich nur kurze Zeit, wie vor oder nach medizinischen Untersuchungen. Sonst werden die Affen in geräumigeren Gehegen gehalten, alleine (beispielsweise im Anschluss an eine Implantatsoperation) oder in Gruppen (Bilder und Videos des MPI zur Tierhaltung).

Die nächsten Wochen werden zeigen, welche Konsequenzen die Aufnahmen haben werden und wie das MPI die einzelnen Szenen erklärt. Der Grund für die Zurückhaltung des MPI geht im Übrigen auf ein Fiasko aus dem Jahr 2009 zurück. Damals hatte das MPI in Tübingen einen ähnlichen Skandal. Man wollte Offenheit und Transparenz demonstrieren und lies eine Reportage der ZDF-Sendung Frontal21 zu. Die ausgestrahlte Sendung spiegelte jedoch aus Sicht des MPI eine sehr verzerrte Wahrheit wieder und rückte die Tierforschung am MPI in ein sehr dunkles Licht.


Die anschließende Diskussionsrunde bei Stern TV war kaum objektiver als die Reportage. Ivar Aune von der Gesellschaft für Versuchstierkunde drückte sich oft, ich nenne es mal, ungeschickt aus. Er hat vollkommen Recht, wenn er sagt, dass Tiere unter Stress oder mit einem schlechten Gesundheitszustand, sich nicht richtig konzentrieren können und daher wertlose und nicht-reproduzierbare Daten liefern. Die oberste Priorität der Forscher ist und sollte es daher sein, Experimente mit gesunden, entspannten und fokussierten Affen durchzuführen. Ob dies immer der Fall ist, kann durchaus angezweifelt werden, besonders im Anbetracht des hohen Drucks in wissenschaftlich-renommierten Laboren wie jenes von Prof. Logothetis.

Sehr ironisch sind die Äußerungen der Grünen-Politikerin und Sprecherin für Tierschutzpolitik Nicole Maisch. Sie ist der Ansicht, dass im 21. Jahrhundert die Forschung so weit fortgeschritten sei, dass derartige invasive Tierversuche nicht mehr nötig seien. Als Beispiele führt sie Biochips, bildgebende Verfahren und (adulte) Stammzellenforschung an. Von anderen Verfahren wie embryonaler Stammzellenforschung und Gentechnik hält man bei den Grünen jedoch eher wenig. Es ist daher kein Wunder, dass andere Länder, wie die USA, uns in der Wissenschaft weit voraus sind. Dort wird die Freiheit der Wissenschaft nicht so stark eingeschränkt und reguliert wie im fortschritts- und wissenschaftsfeindlichen Deutschland. 
Dass bildgebende und non-invasive Verfahren wie fMRT, MEGEEG oder TMS nützlich sind und schöne Resultate liefern, will ich hier nicht bestreiten. Aber sie können keine invasiven Tierversuche ersetzen. Sie haben alle einen entscheidenden Nachteil: Schlechte Zeit- und/oder Raumauflösung. Bis zur Arbeit von Prof. Logothetis, dessen Abteilung nun in der Kritik steht, war nicht einmal genau klar, was die schönen, bunten Bilder eines fMRT überhaupt bedeuten. Logothetis hatte damals intrakortikale Signale mit fMRT-Signalen im Affen verglichen und gezeigt, dass das was wir mit einem fMRT aufzeichnen, eher sogenannten Local Field Potentials entspricht als dem Feuern einzelner Nervenzellen. Es ist also Logothetis Affenversuchen zu verdanken, dass wir heute ein wenig mehr über das beliebte (und vermutlich gehypte) fMRT wissen. Nichtsdestotrotz bleiben auch nach dieser Studie immernoch viele Fragen über fMRT offen. Die Interpretation von fMRT-Studien ist sehr kontrovers. In einer Studie (PDF) aus dem Jahr 2009 beispielsweise wurde Hirnaktivität in einem toten Lachs mittels fMRT nachgewiesen.
Auch bei anderen Verfahren, wie EEG, ist bis heute unklar, was sie eigentlich genau messen. Daher sind invasive Verfahren in der Grundlagenforschung nicht zu ersetzen. Diese Tatsache wollen viele Forscher in Europa (und besonders auf der britischen Insel) nicht wahrhaben. Non-invasive Verfahren, wie sie in Europa im Bereich der Brain-Computer-Interfaces (BCI) bei Menschen eingesetzt werden, bieten definitiv unfassbare Möglichkeiten und werden in Zukunft das Leben von vielen schwer-kranken Menschen erleichtern. Beispielsweise ermöglichen BCI Menschen, die am Locked-in-Syndrom leiden, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Doch leider können mit solchen non-invasiven Methoden meist nur die Symptome bekämpft werden. Rückschlüsse auf die Ursache der Erkrankung lassen sich kaum ziehen (ebenso bei bildgebenden Verfahren). Erst wenn die Ursachen und unterliegenden biophysikalischen Prinzipien verstanden sind, kann damit begonnen werden neurologische Krankheiten effektiv zu bekämpfen und deren Entstehung zu verhindern. 

Tierschützer Friedrich Mülln von der SOKO Tierschutz zieht das typische Tierversuche-sind-nutzlos Geblubbere durch. Er hat Recht, bei falscher Durchführung hätten Tierversuche bei Penicillin, Asperin, oder auch im Falle von Contergan eventuell nicht geholfen (dabei wurde Penicillin erfolgreich an Mäusen getestet). Dumm für Herrn Mülln gibt es auch genug Beispiele, die den Nutzen von Tierversuchen aufzeigen, wie im Falle von AIDS, Impfstoffe gegen Antrax, Tollwut, Asthmaspray, Insulin, Malaria, Behandlung von Leukämie und Parkinson, Herztransplantate, Kochlearimplantate, ... Auch für die Bekämpfung von ASL oder Ebola sind Primatenversuche unverzichtbar.


Disclaimer: Ich bin Doktorand der Neurowissenschaften in Tübingen, bin aber an keinen Affenversuchen beteiligt (und war es auch nie). Ich habe sonst auch keine Verbindungen zur Abteilung um Prof. Logothetis. Persönlich hatte ich einmal die Möglichkeit die Rhesusaffenhaltung an der Universität Tübingen, in der Abteilung für Tierphysiologie, Institut für Zoologie, zu begutachten. Dort gab es meines Erachtens nach nichts zu beanstanden.

Hier die wichtigsten Links:

und hier das YouTube-Video von SOKO Tierschutz. Achtung! Enthält verstörende Bilder:


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