Ende letzter Woche besuchte ich ein Seminar
der
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Zusammenarbeit
mit der
Deutsch-Arabischen-Gesellschaft im bergischen Gummersbach zum
Thema Syrien. Ich möchte im Folgenden einige Punkte
wiedergeben, die ich als besonders interessant und aufschlussreich
bezüglich des stattfindenden Bürgerkriegs in Syrien halte und im
Seminar erwähnt wurden.
Am Seminar "
Syrien im Bürgerkrieg - der Vielvölkerstaat in der Zerreißprobe" nahmen unter anderen
Ralf Erbel, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für Jordanien,
Libanon, Syrien und Irak, und
Fadwa Suleiman, eine syrische
Schauspielern und Friedensaktivistin sowie Dr. Sadiqu al-Mousllie,
Mitglied des syrischen Nationalrats, teil.
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Rückblick: Entwicklung in Syrien
Im
Frühling 2011 begann der arabische Frühling auch Syrien zu erfassen. Es folgten Proteste und Tote. Bashar al-Assad, Diktator Syriens, Alawit und Vorsitzender der Baath-Partei, die zwar säkular ist, aber im Grunde nationalsozialistisch, regiert seit dem Tod seines Vaters im Jahre 2000 Syrien und dessen 22 Millionen Einwohner. Zuerst als Reformer gefeiert, zeigte sich schnell, dass Assad, wie sein Vater, Syrien mit hart Hand führt. Oppositionshochburgen wurden belagert und mit schwerer Artillerie beschossen. Die Opposition fordert ein Ende der Herrschaft Assads. Der Krieg kostete nach Oppositions Angaben bereits mehr als 12.000 Menschen das Leben. 75.000 Menschen wurden inhaftiert, mehr als 250.000 sind geflüchtet. Laufende Informationen zum Konflikt findet man m.E. nach am besten bei Al Jazeera, u.a. im
Liveblog und auf der
Sonderseite, oder bei
Zenith sowie
Naher und Mittlerer Osten.
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Syrien, ein Vielvölkerstaat
Was mir bisher noch nicht bewusst war,
oder ich aufgrund der künstlichen Grenzziehung des Staates Syriens durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich verdrängt hatte, war der Umstand, dass es in
Syrien eine ausgesprochen starke nationale Identität gibt. Syrier
sind stolz auf ihr Land und dessen Vielfalt. Sie sind stolz darauf in
einem Vielvölkerstaat zu leben, einem Land, in welchem Drusen,
Christen, Alawiten, Sunniten, Kurden, und, und, und leben. Das Land
wurde als sehr säkular beschrieben, der Islam als gemäßigt. So war
einer der
ersten Präsidenten des modernen Syriens Christ – angeblich mit der
Zustimmung der Muslimbruderschaft. Im syrischen Pass und der
Geburtsurkunde wird bis heute die Religionszugehörigkeit nicht erwähnt. Es finden Heiraten über Ethnien und Religionen hinweg statt, im Staat sind alle Religionen und Ethnien vertreten.
Assad, Ethnien und Konfession
Dennoch hat Assad die verschiedenen Ethnien gekonnt gegeneinander ausgespielt. Wichtige Positionen im syrischen Sicherheitsapparat werden vorwiegend von Alawiten inne gehalten, angeblich hat jede alawitische Familie mindestens ein Angehörigen, der im syrischen Sicherheitsapparat tätig ist. Dennoch werden Alawiten wie Sunniten und Christen verhaftet, gefoltert und getötet. So wurde von einer Geschichte berichtet, wonach Sicherheitskräfte einen Kurden und Sunniten verhaftet hatten. Den Sunnit folterte man, der Kurde durfte dabei zu schauen. Durch solch eine Zermürbungstaktik spielt Assad die verschiedenen Grupperierungen gegeneinander aus und kann sich als notwendige harte Hand etablieren, die nötig ist, um den Vielvölkerstaat Syrien zusammenzuhalten. Ohne ihn, würde Syrien im Chaos und konfessioneller Gewalt versinken. Das will Assad der Welt glauben machen und am Beispiel Irak sieht man, dass mit dem Sturz eines Herrschers, der verschiedene Ethnien gegeneinander ausgespielt hat, ethnischen Säuberungen und Gewalt die logische Konsequenz sind. Dies ist meines Erachtens nach aber definitiv kein Grund Assads Regime zu rechtfertigen; im Gegenteil, es ist ein Grund, das Regime zu stürzen, wie jedes andere Regime, das Ethnien und Konfessionen gegeneinander auszuspielen versucht. Mit jedem Tag, den das Regime weiterregiert, schafft es mehr Hass und Gewalt. Dieser wird sich, so oder so, irgendwann notgedrungen entladen müssen. Lieber jetzt als später.
Zum Misstrauen der Syrier ihren Mitmenschen gegenüber trägt vor allem der Fakt bei, dass Syrien einen gigantischen Sicherheitsapparat besitzt. Überall soll es Spitzel geben, man kann niemanden trauen. Es kursiert die Zahl, dass auf 210 Syrier ein (inoffizieller) Geheimdienstmitarbeiter kommt. Leider konnte ich hierfür keine Quelle finden, aber ich erinnere mich ähnliches in einer einigermaßen seriösen Zeitschrift gelesen zu haben.
Die Angst der Christen
15% der syrischen Bevölkerung sind Christen. Syrische Christen lassen sich unzähligen Kirchen zuordnen: So findet sich unter anderem die Melkitische Kirche, die Armenisch-Apostolische Kirche, die Syrisch-Katholische oder die assyrische Kirche des Ostens. Bisher fiel es den Kirchen schwer sich gegen Assad zu positionieren. Das liegt vor allem daran, dass viele christliche Gelehrte einerseits Angst vor den Konsequenzen eines Sturzes Assads haben, und anderseits unter Assad einigermaßen ungestört ihre Religion ausüben können. Sollte Assad stürzen, so die Angst, wird Syrien ein zweiter Irak oder wie der Nachbar Libanon im jahrelangen blutigen konfessionellen Bürgerkrieg versinken. Ethnische Säuberungen, Anschläge, Vertreibung. Kurz: Die derzeitige "stabile" Diktatur sei besser als eine womögliche Theokratie. In einer islamischen Theokratie möchte niemand leben.
Diese Angst widersprach sich aber offen mit der Darstellung vieler am Seminar teilnehmender Syrer, die davon sprachen, dass der Islam in Syrien sehr gemäßigt sei und es kaum islamistische Tendenzen in Syrien gebe. Solche Aussagen sollte man selbstverständlich nicht überbewerten, aber ebenso keinesfalls ignorieren. Es ist immer problematisch, wenn Diskussionen ins Emtionale abrutschen. Es ist durchaus möglich, dass einige Gäste ihr eigenes Land und Volk besser darstellen wollten, als es in der Tat ist. Der Unterschied zwischen Erfahrungsberichten von Syrern und anwesenden Politikwissenschaftlern war durchaus nicht zu übersehen.
Die Muslimbrüder in Syrien
Auf die Mitgliedschaft in den Muslimbrüdern steht in Syrien die Todesstrafe. Folglich sind die Muslimbrüder in Syrien nicht offen aktiv. Es finden sich keine derartig guten Strukturen wie in Ägypten vor. Ferner - so wurde es im Vortrag von
Christian Wolff dargestellt - dürfen die Muslimbrüder nicht mit den radikalen Salafisten verwechselt werden. Innerhalb der Muslimbrüder gebe es keine totalitären Tendenzen, sie stellen somit keine Gefahr für einen pluralistischen Staat dar. Die Muslimbrüder selbst haben jeglicher Gewalt abgeschworen und stünden hinter der Religionsfreiheit. Dummerweise aber, gibt es keine Stellungnahme der Muslimbrüder wie sie sich gegenüber Ungläubigen (wie Alawiten, die in ihren Augen keine wahren Muslime sind) und Apostasie stellen. Darüber hinaus muss man anmerken, dass zwischen Stellungnahmen und späteren Taten immer ein Unterschied besteht. Man sollte die Muslimbrüder daher keinesfalls als ungefährliche Oppositionsgruppierung abstempeln.
Die Forderungen der Opposition
Vorneweg, es gibt nicht die eine Opposition. Und das ist auch gut so. In einem demokratischen und pluralistischen Staat kann es keine eine Opposition geben. Sie setzt sich aus vielen einzelnen Parteien und Unabhängigen zusammen. Die Forderung vieler die Opposition solle sich einigen, ist daher schwachsinnig. Eines der Probleme der Opposition besteht darin, dass sie wenig
Vertrauen innerhalb der syrischen Bevölkerung genießt, da es einen
Unterschied zwischen der innersyrisch und der äußeren Opposition gibt.
Fadwa Suleiman forderte die finanzielle Unterstützung der Opposition und das Ende der diplomatischen Beziehungen zwischen den EU-Staaten und Syrien. Das Ziel sei es, nach dem Sturz Assads, einen pluralistischen und zivilen Staat zu schaffen. Dieses Ziel unterstrich auch Dr. Sadiqu al-Mousllie. Gewaltätige Proteste werden nicht unterstützt, der Freien Syrischen Armee stand man aber durchaus freundlich gesinnt gegenüber, solang sie der Verteidigung dient. Gespräche mit der syrischen Führung lehnt man ab. Ein Syrien ist mit Assad und seiner Familie nicht vorstell- und machbar. Das Regime hat schon häufig Abmachung nicht eingehalten und nutzt internationale Abmachungen, wie die UN-Beobachtermission, um Abzulenken und Zeit zu gewinnen. Außerdem kann dem Regime nicht vertraut werden. Bereits im Libanon hat Syrien Terrorvereinigungen geschaffen und unterstützt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch im derzeitigen Konflikt das Regime Islamisten und deren Anschläge unterstützt, oder zumindest toleriert, um seine Existenz zu rechtfertigen.
Rückhalt in der syrischen Bevölkerung
Eine der scheinbar essentiellen Fragen ist immer: Wie steht die syrische Bevölkerung zu den Protesten und zu Assad. Wie groß ist die Unterstützung für Assad? Obwohl diese Frage angesichts der blutigen Niederschlagung der Proteste irrelevant ist - worauf ich am Ende nochmals eingehen werde - soll sie im folgenden nicht ganz ignoriert werden.
Genaue Zahlen lassen sich selbstverständlich nicht nennen, aber es steht außer Frage, dass es eine schweigende Mehrheit gibt. Warum gibt es diese? Entweder aus Angst vor oder aus Sympathie zum Baath-Regime. Leider lässt sich diese Fragestellung nicht beantworten. Jene Syrer, die am Seminar teilgenommen haben, waren der Ansicht, dass selbstverständlich aus Angst um das leibliche Wohl nicht protestiert und widersprochen wird. Auf Fadwa Suleiman wurde unter anderem angeblich ein Kopfgeld von 100.000€ ausgesetzt. Sie floh deshalb aus Syrien, nicht aus Angst um ihr Leben, aber darum, das Leben anderer zu gefährden.
Ein weiter Punkt, den man nicht vergessen sollte: Nicht nur Syrer, aber auch Araber im Allgemeinen, werden oft als sehr risikoaversiv beschrieben werden. Man hat Angst vor Veränderung.
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Fazit
Meiner Meinung nach, ist es irrelevant wie groß der Zuspruch des Regime
innerhalb der syrischen Bevölkerung ist. Das Recht auf freie Meinerungsäüßerung, auf Demonstration und Versammlung, dieses Recht ist unantastbar und universell. Welcher Staat dieses Recht missachtet, und Proteste mit Gewalt niederschlägt, dieser Staat hat keine Existenzberechtigung mehr. Punkt.
Neben interessanten Diskussionen, Standpunkte und Berichte,
besonders jener von Fabian Köhler, der 10 Tage in syrischer Haft verbrachte, und
Susanne Osthoff, welche für
Orienthelfer e.V. aktiv ist und zur Zeit keine Medikamente an Flüchtlinge und Verletzte in Jordanien verteilen darf, wurde mir besonders erneut eine Sache besonders deutlich:
Jeder Konflikt ist äußerst komplex. Die Komplexität der Situation in Syrien wird oft vergessen und heruntergespielt. Es gibt Paralleln mit dem arabischen Frühlingen in anderen Staaten und es gibt definitiv Ähnlichkeiten zum Saddam-Irak. Aber es gibt auch Unterschiede, gewaltige Unterschiede. Der Konflikt ist so komplex, es mischen soviele Akteure mit, innere sowie äußere, wie die USA, der Iran, die Türkei, Israel, Katar und Saudi-Arabien, dass es unmöglich zu sein scheint, die Situation zu durchschauen und entsprechend zu analysieren sowie zu bewerten. Internationale Politik ist verdammt komplex. Man muss sich stets davor hüten sie zu übersimplifizieren.