13.09.2008

Mindfuck and Disgustingness par Excellence

Es gibt Filme, welche nicht einfache Filme sein wollen. Einerseits gibt es Filme, welche man wieder vergisst nachdem man sie gesehen hat und sich gut unterhalten gefühlt hat. Aber es gibt anderseits auch Filme, welche höchst anspruchsvolle psychologische Meisterwerke darstellen, die unter ihrer Oberfläche eine unendliche Vielfalt an Interpretationen zu lassen - ähnlich wie diverse literarische Werke. Beim wiederholten Ansehen enthüllen sich dem Zuschauer immer neue Geheimnisse.
Natürlich sind solche Filme nicht etwas für Jedermann, auf den ersten Blick wirken einige zusammenhangslos, verwirrend, pervers, gewaltverherrlichend, eventuell sogar langweilig und abstoßend, aber die Botschaft, welche sie vermitteln wollen ist umso spannender. Oft wissen die Regisseure selbst nicht einmal, was sie da für ein Film produzierten und überlassen ganz dem Publikum das Interpretieren. Meist werden psychologische Störungen und wichtige philophische Ansichten wie nach dem Sinn des Lebens, Tod und Moral thematisiert und mit verschiedenen Realitäten verknüpft. Filme sind hierbei bei Weitem mehr als nur bewegte Bilder. Die Filme haben selten eine chronologisch-logischen Ablauf, weshalb sich die Story erst am Ende ergibt - oder auch gar nicht. Dies macht die Filme eben so derartig komplex und lässt sie von einigen Zuschauern schon vorzeitig als nicht anschaubar abstempeln - wobei einige in der Tat nicht anschaubar sind.

Fight Club sollte den meisten ein Begriff sein. Ein Film, der gegen Ende alles auflöst und somit alles umwirft, was man davor eigentlich erwartet hatte. Dem Zuschauer wird einen Mindfuck-Moment  beziehungsweise twisted ending geboten. Ähnliches bietet Der Maschinist, The Butterfly Effect, ein Film der den Schmetterlingseffekt thematisiert, Seven (Sieben) und Prestige von Christopher Nolan. (Für eine Liste siehe Ende des Beitrags)

Der britische Regisseur Nolan produzierte bereits zuvor einen überaus interessanten Film, der "rückwärts" abläuft. Memento handelt von einem Versicherungsangestellten, der sein Kurzzeitgedächtnis durch einen Überfall verloren hat und sich somit nicht neues mehr merken kann. Er verlässt sich daher ganz auf seine Notizen und Tattoos am Körper um am Mörder und Vergewaltiger seiner Frau Rache zu nehmen. 

Philosophischere Aspekten haben die Filme des Südkoreaners Park Chan-wook. Die Rache-Trilogie (Sympathy for Mr. Vengeance, Oldboy und Lady Vengeance) bietet in jedem der Filme eine komplexe melancholische Thrillerstory, welche sich alle drei mit dem Thema der Rache auseinandersetzen. Genauso intensiv ist der thailändschie trilinguale Film Last Life in the Universe, indem Realität und Traum in einem äußerst melancholischen Film miteinander verschmelzt. Wer eher auf japanische Animes abfährt, für den könnte die Anime-Serie Ergo Proxy oder Death Note etwas sein.

Verwirrender sind die surrealen und kafkaesken Filme von David Lynch. Mit u.a. Eraserhead, Twin Peaks, Blue Velvet, Lost Highway, Mulholland Drive und Inland Empire hat Lynch äußerst konfuse, surreale Neo-Noir-Filme geschaffen, zu denen sich diverse Interpretationen finden lassen und bei denen kognitive Dissonanzen vorprogrammiert sind. Persönlich lehnt er Interpretationen seiner Filme ab, so sagte er über den Film Inland Empire:
"Ich weiß, was Inland Empire für mich bedeutet. Aber das verrate ich nicht […] Die Zuschauer müssten stärker ihrer Intuition vertrauen. Denn im Grunde wissen sie viel mehr, als sie glauben, aber sie gestehen es sich nicht ein."

Ein weiteres Zitat von Lynch über seine Filme:
"Life is very, very complicated and so films should be allowed to be too."

Ebenso verrückt wie jene Filme von Lynch, aber nicht ganz so undurchsichtig, ist der Hong-Kong-Thriller Mad Detective, indem ein ehemaliger Polizeidetektiv die verschiedenen Persönlichkeiten eines in einem Mordfall Verdächtigen erkennen kann. Auch in dem Horrorthriller Identity (Identität) wird die multiple Persönlichkeit eines Serienmörders thematisiert. Dahingegen wirkt der Film Naked Lunch des Kanadiers David Cronenberg, der auch bekannt für seine grotesken Filme wie z.B. Crash ist, harmlos, aber völlig seltsam, denn wann sieht man schon Käfer mit einer Tastaturen, die als Schreibmaschinen fungieren. Ein weiteres "fucked-up Movie" ist Spider, der die Welt in den Augen eines psychisch Gestörten zeigt.

Noch bösartiger, zynischer und verstörender sind jedoch Funny Games, The Last Horror Movie und Man Bites Dog. Funny Games ist ein äußerst alptraumhafter Film, indem zwei Jugendliche eine Familie tyrannisieren und ermorden. Dabei wenden sie sich  direkt immer wieder an den Zuschauer. Der Film soll die Gewaltfixiertheit des Zuschauers kritisieren. Die beiden anderen, sehr ähnlichen Filme, Man Bites Dog und The Last Horror Movie sind Filme, die wie eine Dokumentation, sogenannte Mockumentaries, gemacht sind. Ein Kamerateam begleitet einen Serienmörder bei seinen Morden. Bei Prisma Online (nach Wikipedia) heißt es:
„Mit dokumentarischen Mitteln zeigen die Filmemacher [des Films Man Bites Dog] einen eigenwilligen Einblick in die Welt eines Mörders. Dabei setzen sie auf eine Fülle von Skurrilitäten. Trotz vieler fast schon abstoßender Szenen ist das Werk für Freunde des äußerst schwarzen Humors eine wahres Fest. Schon seltsam, dass derlei Brutalitäten oftmals zum Schreien komisch sind.“

The Last Horror Movie geht noch einen Schritt weiter. Hier wird der Zuschauer wie bei Funny Games direkt angesprochen, jedoch mit einem anderen Ziel. Max, der Hauptdarsteller und Serienmörder, spricht am Ende des Films in die Kamera zum Zuschauer, dass dieser nun wisse wie er aussehe und daher eine Gefahr für ihn sei. Vielleicht stehe er in diesem Moment an dem Fenster des Zuschauers und beobachte diesen bereits.

Brutaler und abstoßender sind zum Einem der flämische Film Ex Drummer und zum Anderen die beiden japanische Filme Visitor Q und Gozu, des verrückten Regisseures Takeshi Miike. Spätestens bei diesen Filmen sollte der Zuschauer anfangen sich zu fragen, was er sich da gerade eigentlich anschaut. Alle drei Filme muss man schon selbst gesehen haben. Zurück bleibt ein überforderter, verwirrter Zuschauer, der erstmal verarbeiten muss, was da gerade vor seinen Augen passiert ist.
Ex Drummer handelt von einer Punk-Band, bestehend aus Menschen mit einer Einschränkung, die am Rande der Gesellschaft vor sich hinvegetieren. Der paranoide, gewalttätige Sänger lispelt, der Gitarrist verprügelt seine Frau, lässt seine Tochter sterben und ist taub und der schwule Bassist hat einen steifen Arm. Nun fehlt der Band noch ein Drummer. Daher engagieren sie einen bekannten Schriftsteller, der sich der Band anschließt und sich in in der Band unter Versagern und Asozialen selbst als ein besserer Mensch sieht. Sein Handicap besteht darin, dass er gar kein Schlagzeug spielen kann. Er stellt somit den Kontrast dar, das Niveau, die Reinheit und das Anspruchsvolle, der sich letztendlich bewusst ist mit was für Menschen er sich abgibt.

Bei Filmstarts.de heißt das Fazit:
"Eine elegant-verstörende Sozialparabel, die auf Grund ihrer ungebremsten Radikalität aber sicherlich nicht für jedermann empfehlenswert ist."

Gozu (auf japanisch heißt der ganze Titel: "Großes Yakuza-Horror-Kino: Gozu") muss man schon wirklich selbst gesehen haben, um diesen total verstörenden freudschen Yakuza-Film beschreiben zu können, in dem mal Kühe auftauchen, mal ein Hund brutal ermordet wird und sich unzählige perverse sexuelle Anspielungen finden lassen.
"Monströs-überbordende Geschichte voller Sex and Crime, Geistererscheinungen und überraschenden Wendungen, die nach verhaltenem Anfang Fahrt aufnimmt. Vieles in Miikes Film erinnert an David Lynch, David Cronenberg und Aki Kaurismäki."

Beim englischen Wikipedia findet sich dazu unter anderem die Interpretation, dass der Hauptcharakter in Wirklichkeit ein homosexueller junger Mann ist, der mit seiner Sexualität nicht zu recht kommt und am Ende des Filmes befreit wird. Die Bedeutung der Kuh bzw. des Kuhkopfes erklärt Miike folgendermaßen:
"The Japanese are a little strange when it comes to religion, wedding ceremonies are Shintoist and deaths Buddhist. In one of these traditions, there is a character known as Gozu who exists between evil and the human world. He's the assistant of evil."

Noch obskurer wirkt da Visitor Q von Miike, der von einer so gut wie zerstörten Familie handelt, die der Vater mit einer selbst gedrehten Dokumentation retten will. Der erfolglose Vater filmt sogar wie er mit seiner drogenkonsumierenden Tochter Sex hat und sie danach dafür bezahlt. Im weiteren Verlauf des Filmes taucht ein unbekannter Mann auf, der mysteriöse Visitor Q, der später Gast bei der Familie ist und u.a. den Vater immer wieder mit einem Stein erschlägt. Der Sohn der Familie wird in der Schule gemobbt und lässt seine Frustration zuhause bei seiner heroinsüchtigen Mutter aus, die um ebenfalls an Geld zu kommen sich prostituiert. Gegen Ende erfolgt die Befriedigung der familiären Situation, nachdem der Vater bei dem nekrophilen Lustakt mit einer zuvor getöteten Journalistin in dieser stecken bleibt als deren Leichenstarre einsetzt und ihm seine Frau bei der Befreiung hilft, die zuvor mit Hilfe des unbekannten Gastes ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickelt hat.
"Vielschichtige Reflexion über die Gewaltstruktur des Alltagsdenkens. Bestimmt von drastischen Tabubrüchen, gleitet der ebenso komplexe wie beunruhigende Film letztlich nie ins Selbstzweckhafte. Hoffnung wie Erlösung finden sich am Ende nur in der Abkehr vom Realismus sowie in der Überhöhung der Genrebilder."
(Trailer mit englischem Untertitel)

Genauso rückwärts wie Memento läuft der schockierende Spielfilm Irreversibel des französischen Skandalregisseures Gaspar Noé ab, den man nach einmaligen Anschauen so schnell nicht nochmal anschauen will, denn das was Noé geschaffen hat ist äußerst abscheulich und nur wirklich hartgesottenen Filmfanatikern zu empfehlen. Die anfängliche neuartige wirre Kamerafahrt durch die Schwulenbar "Rektum" lässt noch nichts von der bald folgenden Gewalt erahnen. Im Nachhinein symbolisiert doch gerade diese ungeschnittene Fahrt die grenzenlose Wut der beiden Hauptdarsteller Marcus und Pierre, die sich an einem Vergewaltiger rächen wollen. Nachdem sie der Meinung sind diesen ausgemacht zu haben, entsteht eine Schlägerei, die darin endet, dass Pierre dem angeblichen Vergewaltiger mit einem Feuerlöscher das Gesicht auf das Extremste zertrümmert und deformiert. Immer wieder schlägt er in einer ungeschnitten, sehr verstörenden Szene auf das Gesicht des angeblichen Vergewaltigers ein bis dieses bis zur Unkenntlichkeit zerstört ist. Später sieht der Zuschauer, was die beiden Hauptdarsteller zu dieser derartigen brutalen Aktion veranlasst hat. Alex, die Freundin von Marcus und Ex-Freundin von Pierre, wird von einem Mann in einer ebenfalls ungeschnitten, sehr real- und abscheulichwirkenden etwa 10 Minuten langen Szene (gefühlte 30 Minuten) in einer Unterführung vergewaltigt und daraufhin brutal zusammengeschlagen. Der Zuschauer verharrt hilflos und verstört. Er spürt regelrecht das Leid, den Schmerz und den resultierenden unendlichen Hass. Er durchlebt die komplette Vergewaltigung und kommt nicht um sie herum. Anders als bei sonstigen "Schockerfilmen" fehlt jegliche Art an Ironie, jegliches Augenzwinkern. Der Zuschauer kann noch soviel nach etwas Euphemistischen suchen, nach etwas, was der Szenerie die Ernsthaftigkeit nimmt, er wird es nicht finden.

Der ganze Filme besteht aus 15 sehr langen Szenen. Die Dialoge der Darsteller sind größtenteils improvisiert. Bei epd-Film heißt es:
„[Der Film] erschöpft sich in delirierenden und voyeuristischen Bildern. Jenseits der exzessiv beschriebenen Gewalt bleibt ein Gefühl der Leere zurück.“

Das Anschauen dieses Films sollte man sich daher wirklich gut überlegen, denn so schnell vergisst der Zuschauer diesen eindringlichen, bewegenden und abscheulichen Film nicht. Es stellt sich die berechtigte Frage, was ein Film darf und wie viel Gewalt man dem Zuschauer zumuten darf. Irreversibel hinterlässt ebenso eine andere Botschaft: Die Frage nach Zivilcourage; denn die brutalen Vergewaltigung wird von einem Passanten ignoriert; die Frage nach dem Sinn der Rache, von Schuld und Sühne und die Art wie man mit Gewalt umgehen soll. (Siehe ebenso: Arteschock Filmkritik). Alles in Allem ein äußerst verstörender Film. Was den Film so brutal und verstörend macht, mag wohl die Tatsache sein, dass er zwar lediglich zwei unendlich brutale Szenen beinhaltet, diese aber in einer derartig realistisch und nachvollziehbaren Story verankert sind, dass sie beim Zuschauer noch niemals zuvor erfahrene Emotionen hervorrufen. Es geht nicht um etwas Irreales, wie einen irren Massenmörder, sondern um etwas, dass tatsächlich passieren kann und traurigerweise auch passiert: Vergewaltigung. Und das ist es, was diesen Film so schockierend macht.
Im Nachhinein bereute zumindest ich nicht diesen Film gesehen zu haben, aber man sollte sich dennoch sehr gut überlegen, denn dieser Film geht einem womöglich niemals mehr aus dem Kopf. 


Also, wer mal in den Ferien oder an einem verregneten Tag Langeweile hat, eine Sehnsucht nach Verwirrtheit oder Rätsellösen in sich spürt und mal etwas anderes sehen will als das was die ganze Zeit im TV (ausgenommen ARTE, da kommt manchmal der ein oder andere Film dieser Art) läuft, kann sich einen der besagten Filme anschauen - was man in den Filmen sieht, ist jedem selbst überlassen, genauso ob sie einen "fesseln" oder einfach nur langweilen.

Persönlich würde ich alle Filme empfehlen, die sich in diesem Artikel oberhalb von den zynisch, bösartigen Filmen wie Funny Games befinden.

Weitere Links:
Wikipedia - Psychological Thriller


Update:
"Mindfuck"-Filme und Psycho-/Horror-Thriller:
Abstoßende Filme:
letzte Aktualisierung: 21.09.2020

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Du hast die 120 Tage von Sodom und "Menschenfeind" vergessen...